„Mut ist, zu geben, wenn alle nehmen!“
In einer Welt, wo sich eine Medienhauskette nicht schämt mit dem Slogan anzutreten, dass Geiz geil sei, sind wir im Kleinen wie im Großen weit entfernt von der biblischen Weisheit, dass Geben seliger denn Nehmen sei. Ob wir nun selbstsüchtig möglichst alles klauben und raffen, eifersüchtig darauf achten, nur ja auch etwas von den Kuchen, die verteilt werden, abzubekommen, uns skrupellos an fremdem Eigentum vergreifen oder uns in unseren Lebensstilen auf Kosten der anderen Menschen dieser Welt verwirklichen: Wir nehmen, wo wir nur können. Und wir nehmen uns nicht nur Materielles, wir erwarten wie selbstverständlich auch die Empathie, die Zuwendung, das Verständnis der anderen, ohne selbst ihnen diese geben zu wollen, wir wollen unseren Anteil an ihren Gefühlen, und lassen sie in diesen dann doch schließlich allein, weil wir schon auf dem Weg zum nächsten Hype sind.
Für all dieses Nehmen braucht’s keinen Mut, nur etwas an tagtäglicher Rücksichtslosigkeit, Unverfrorenheit und Stupidität.
Das Motto der diesjährigen Fastenaktion von Misereor – „Mut ist, zu geben, wenn alle nehmen!“ – dagegen macht uns bewusst, dass wir nicht uneingeschränkt nehmen können, während woanders Menschen unter Mangel leiden. Oder schlimmer, wo unser Nehmen erst diesen Mangel erzeugt. Es stellt an uns die Frage, wie unsere Lebensstile mit den Lebensbedingungen der Menschen in den Ländern der sogenannten Dritten und Vierten Welt zusammenhängen. Denn wo alle nehmen, bleiben die Schwachen auf der Strecke. Und das buchstäblich, denn noch immer leiden in diesen Ländern unzählige Menschen an Hunger und Unterernährung, schlimmer noch, sie sterben.
Aber das Motto weist über diesen konkreten Hunger, den es von uns allen zu bekämpfen gilt, hinaus. Unsere Gier nach Mehr, unser Nehmen, zeigt, dass wir trotz unserer Vollversorgung Lebensnotwendiges vermissen und es bei anderen zu finden hoffen. Dabei besitzen wir alle mehr davon, als wir zu glauben meinen. So viel, dass es auch für andere reicht. Wir müssen es nur in uns entdecken wollen. Dann finden wir auch den Mut, zu geben, anstatt zu nehmen. Die Zeit bis Ostern ist ein Geschenk Gottes an uns, nach diesem Mut zu suchen.
Dr. Roman Riedel