Gedanken zum sogenannten „Ungläubigen Thomas“ von Pfr. Volker Busch
Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Eltern, liebe Gäste auf unserer Homepage,
welch ein Glück gibt es ihn, den sogenannten „ungläubigen Thomas“, den die katholische und evangelische Leseordnung am Weißen Sonntag vorsieht. Das denke ich mir Jahr für Jahr, wenn ich diesen Abschnitt aus dem Johannesevangelium (Joh 20, 19-31) vorlese oder höre.
Ja, er ist mir sympathisch – Thomas, der nicht einfach alles glaubt, was man ihm sagt. Schon allein deshalb ist er in Zeiten von „fake news“ und „alternativen Fakten“ ein großes Vorbild. Er lässt sich nicht einfach etwas erzählen und nimmt es dann als Tatsache hin – erst recht nicht so etwas absolut Unvorstellbares, wie dass da einer von den Toten auferstanden sei. Noch nicht einmal, wenn es da um Jesus geht, dessen Tod ihn zutiefst betroffen hat und dem er auf dessen Weg gefolgt ist. Was würde er sich mehr wünschen, als dass Jesus nicht gestorben ist, dass er weiterlebt und die Botschaft von Gott verkünden kann. Doch er musste miterleben, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. Und mit ihm auch die Hoffnungen und Träume, die Thomas mit ihm verbunden hat.
Und jetzt erzählen die anderen Jünger, er sei auferstanden? Unvorstellbar – unglaublich. Nein, Thomas will selbst erfahren, im wahrsten Sinne des Wortes „be-greifen“, „er-fassen“. „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ (Joh 20, 25)
Danke, Thomas, dass es Dich gibt, mit Deinen Zweifeln, mit Deinem Verständnis von Welt und Leben, in dem so etwas wie Auferstehung einfach unvorstellbar ist, in der es eben keine Rückkehr von „jenseits des Todes“ gibt. Danke, dass es Dich gibt, in dem auch ich mich wiederfinden kann mit meinen Zweifeln, die mich manchmal überkommen, weil auch mein Weltbild oft so eng ist, dass alles, was darin nicht vorkommt, nicht sein kann…
Und wie sehr würde ich mir wünschen, wie Du be-greifen zu können, er-fassen zu können, anfassen zu können. Doch wenn ich genau hinschaue, dann fällt mir auf, dass Thomas gar nicht anfasst. Er hätte die Möglichkeit dazu. Jesus zeigt sich ihm noch einmal eigens, damit er be-greifen kann, damit er glauben kann. „Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ (Joh 20,27) Ist das ein Tadel für Thomas, so nach dem Motto: „Wie konntest Du nur so ungläubig sein?“ Oder steckt darin vielmehr ein liebevolles „Ich möchte, dass auch Du glauben kannst – deshalb lasse ich mich auf Dein Bedürfnis ein, deshalb greif zu.“
Wie auch immer… Thomas jedenfalls reicht schon allein die Möglichkeit, anfassen zu können – er muss es in der Situation dann gar nicht tun. Denn er kann schon jetzt gläubig bekennen: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28) Und dieses Bekenntnis ist im Verständnis des Evangelisten Johannes ein vollständiges und mustergültiges Glaubensbekenntnis.
Mit den daran anschließenden Worten scheint Jesus nun aus dem Evangelium heraus zu uns – zu Dir und zu mir – zu sprechen, die wir nicht die Möglichkeit des Thomas haben. „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Auch hier kein Tadel des Thomas, sondern vielmehr eine Beschreibung: Thomas ist zum Glauben gekommen, weil er gesehen hat. Diese Möglichkeit haben die Hörer/Leser des Johannesevangeliums nicht mehr. Aber sie dürfen darauf vertrauen, dass das Zeugnis des Evangelisten wahr ist. Sie dürfen darauf vertrauen, dass Jesus wirklich auferstanden ist – denn selbst derjenige, der nicht einfach nur der Botschaft der anderen Jünger trauen wollte, hätte zugreifen können. Selbst er hat begriffen und die Frohe Botschaft erfasst.
Der Evangelist Johannes lädt uns dazu ein, diesem Zeugnis zu trauen und zu vertrauen. „Diese [Zeichen] aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20,31)
Danke, Thomas, dass es Dich gibt, mit Deinen Zweifeln, mit Deinem Verständnis von Welt und Leben, denn in Dir finde auch ich einen Platz mit all dem, was mich bewegt. Danke, denn Du hilfst mir, jedes Jahr neu zu begreifen, dass die Osterbotschaft wahr ist: Jesus lebt, er hat die Macht des Todes gebrochen.