„Der Fall Medea“ – Theaterbesuch der Leistungskurse 10DLK2 und 10DLK3
Am Montag, den 05.12.2022, besuchten die beiden Deutsch-Leistungskurse DLK2 und DLK3 von Frau Dr. Rehm-Grätzel und Frau Foit gemeinsam die Inszenierung „Der Fall Medea“ von Sophia Aurich, die in der „Wartburg“ im Wiesbadener Staatstheater aufgeführt wurde. Grundlage hierfür war die Lektüre des im 5. vorchristlichen Jahrhundert verfassten Dramas „Medea“ von Euripides, in dem es um die für die Entstehungszeit erstaunlich emanzipiert dargestellte Gestalt der Medea geht, die von ihrem Mann Jason fern von der Heimat verlassen und durch eine andere Frau ersetzt wird und daraufhin beschließt, Rache an ihm zu üben, indem sie ihre gemeinsamen Kinder umbringt. Gleichzeitig mit diesem antiken Stoff, der in einer Textfassung von Franz Grillparzer aufgenommen wurde, wird auch ein realer Kriminalfall der Gegenwart hinzugezogen, in dem sich eine junge Mutter in immensen Schulden verstrickt, um ihrer Familie ein gutes Leben zu bieten. Sie wird von ihrem Mann verstoßen, als sie ihm dieses nicht mehr bieten kann und das Ausmaß ihrer finanziellen Not deutlich wird. Das Stück geht in erster Linie der Frage nach, was Menschen, insbesondere aber Frauen und Mütter, auch heute noch dazu verleitet, ihre eigenen Kinder umzubringen. In dem Theaterstück „Der Fall Medea“ wurden daher der moderne und der antike Fall der Medea dargestellt, wobei beide Handlungsstränge immer wieder miteinander verwoben wurden. Der Vergleich der Beobachtungen im Theater mit den eigenen Erwartungen einerseits und den literarischen Vorlagen andererseits wurde von den Kursen insgesamt als herausfordernd, aber auch bereichernd wahrgenommen.
Folgende Stellungnahmen formulierten Schülerinnen und Schüler aus dem DLK2:
- „Es findet in jedem Aufritt ein Rollentausch zwischen der antiken Frau Medea und der modernen Frau Helga statt, wobei der männliche Part des Jason durch denselben Schauspieler in derselben Rolle des Ehemanns dargestellt wurde. Leitend für das Verständnis, wie diese Frauen mit ihrer schambesetzten und hoffnungslosen Lage umgehen, ist jeweils der Verrat durch ihren Mann: Sie fühlen sich nutzlos und hintergangen, da sie ihr Leben für ihn riskiert haben, nur um wegen einer anderen Frau oder einer falschen Entscheidung ersetzt und „verbannt“ zu werden.“
- „Medea wird im Dramentext des Euripides hinterlistiger dargestellt als im Theaterstück. Medea ist im Theaterstück emotionsvoller und sie plant ihr Vorgehen mehr. Jasons Beweggründe werden im Buch genauer erklärt: In der Theateraufführung wirkt Jason temperamentvoller. König Kreon wird im Theaterstück kälter und nicht so mitfühlend wie im Buch dargestellt. Die Figur Gora kommt in Euripides‘ Werk nicht vor, wohl aber bei Grillparzer. Sie hat eine größere Rolle als die Amme im Buch. Aigeus kam im Theaterstück nicht vor. Die Kinder sah man im Theater nicht. Den Erzieher ebenfalls nicht. Die Braut hat die nicht dieselbe Rolle wie im Buch. Im Buch wurde nur über sie gesprochen. Im Theater sah man sie.“
- „Das Publikum war oft sehr gespannt, aber auch nicht immer sehr gefesselt von dem Stück, weil man auch Bewegungen wahrnehmen konnte. Allerdings waren sehr viele Schüler da, die öfters gelacht oder unangenehm berührt waren, aus Gründen wie z.B. Fremdscham. Allgemein war das Publikum allerdings gespannt, ausgezeichnet leise und kaum bemerkbar.“
- „Für unser Empfinden ist es jedoch an manchen Stellen zu langgezogen worden. Die Schauspieler waren sehr gut vorbereitet und auch in ihrer Rolle nicht mehr wegzudenken. Ein paar Aspekte stachen aus der sehr immersiven Atmosphäre heraus. Zum Beispiel wurde die Sprache stark modernisiert. Die Kleidung war dennoch recht originalgetreu, vor allem wenn es um die antike Kleidung ging. Die Schuldfrage wurde gut umgesetzt, da man sich auch beim Theaterstück seine eigene Meinung bilden kann. Dennoch finden wir, dass Jason im Theaterstück deutlich schlechter dargestellt wurde und er etwas farblos wirkte. Im Gesamten ziehen wir die Bilanz, dass sich das Theater gelohnt hat und es eine lehreiche und interessante Erfahrung war.“
Das Stück bot neben dem ästhetischen Erlebnis insgesamt eine spannende Vertiefung des im Unterricht besprochenen Stoffs und auch Raum für Diskussionen und Interpretationen, z.B. ob Medea nun mehr Opfer oder Täterin ist oder inwieweit sich das Thema der „wilden Frau“ nach über zweitausend Jahren Wirkungsgeschichte verändert hat.
Für den 10LKD2
Nathalie Foit