Kinderlachen statt Autolärm
Arie Rosen aus Jerusalem erklärt Schülern im Willigis die Bedeutung von Ruhetagen
Eine Woche ohne Sonntag? Nicht auszudenken. In Israel heißt der Ruhetag Schabbat. Den haben Schülerinnen und Schüler der Mainzer Willigis-Schulen „leibhaftig“ erlebt.
„Und jetzt so laut, dass die ganze Schule bebt und alle sich fragen, was hier los ist“, ruft Arie Rosen, bevor er ein Schabbat-Kinderlied anstimmt und die Schüler bei „chiri-biri-bum“ miteinstimmen. Es ist Unterricht aus erster Hand, der alle Anwesenden anregt mitzumachen. „Der Unterschied zwischen Lehrern, die etwas erzählen, und jemandem, der es lebt, ist riesig“, sagt Dr. Volker Busch, Schulpfarrer am Willigis-Gymnasium. Während seines Vortrags berichtet Arie Rosen detailgetreu vom Ablauf einer traditionellen Schabbatfeier und demonstriert den Kiddusch-Segen, der über einen Weinbecher gesprochen wird. Der Gast aus Israel hat viele KultGegenstände mitgebracht, die die Schüler genau unter die Lupe nehmen dürfen, unter anderem eine Tora, eine aus sechs einzelnen Kerzen geflochtene Hawdalakerze, einen Kidduschbecher und eine Besamimbüchse.
„Schabbat – Sonntag – Ruhetag“ heißt der Vortrag, den Arie Rosen von der Organisation „Kulturelle Begegnungen“ bundesweit schon in vielen Schulen als Ergänzung zum Unterricht gehalten hat. Er möchte jungen Menschen von einer anderen Welt berichten und sie für die Bedeutung von Ruhetagen sensibilisieren. „In der Hektik dieser modernen Welt Ruhetage zu haben, ist wichtig und schön“, ergänzt er. Der Schabbat umfasst die Zeit zwischen Freitagabend und Samstagabend, da die Tage im jüdischen Kalender immer abends beginnen und am nächsten Abend enden. In dieser Zeit lassen gläubige Juden ihre Arbeit und Autos ruhen, halten sich fern von Technologie und besinnen sich auf sich selbst und ihre Familie. „In einigen Straßen in Jerusalem hört man an diesen Tagen Kinderlachen statt Autolärm“, erzählt Arie Rosen. „Wisst ihr noch, was ein Sonntagsanzug ist?“ Mit dieser Frage wendet er sich an die eher ratlosen Schüler. Damit schlägt er den Bogen zum Ruhetag der Christen, der dem Schabbat sehr ähnelt. Am Sonntag sollen Christen, wie Juden am Schabbat, ruhen, Gottesdienste feiern und mit der Familie zu einem größeren gemeinsamen Essen zusammenkommen.
Auch der Sonntag ist ihm nicht fremd, denn Arie Rosen ist in Frankfurt am Main geboren und zog erst mit 15 Jahren nach Israel. Er ist in beiden Ländern gern zuhause und sieht es heute als seine Berufung, Menschen von Israel zu erzählen. „Als ich nach Israel zog, gab es in Deutschland keine verkaufsoffenen Sonntage“, sagt Arie Rosen. „Ich denke, es ist wichtig, dass sich der Sonntag nicht verflüchtigt.“ Es würde ihn freuen, wenn die Schüler auch mal mit ihren Familien zuhause ein Lied anstimmen würden. „Es beeindruckt mich, dass er damit klarkommt, in beiden Ländern zu leben“, sagt eine Schülerin aus der Klasse 8r2 erstaunt.Vor allem das Verbot, ein Feuer zu entzünden, verwundert die Schüler. „Wird dann im Dunkeln gegessen, wenn die Sonne untergegangen ist?“ und „Wenn man am Schabbat nicht Auto fahren darf, was passiert dann, wenn sich jemand verletzt?“ Doch Arie Rosen kann alle Fragen klären. Das Dilemma mit dem Sonnenuntergang beispielsweise lässt sich heutzutage leicht mit einer Zeitschaltuhr umgehen, die ab einer gewissen Uhrzeit das Licht anknipst. „Früher ging man einfach schlafen“, sagt er, „und selbstverständlich dürfen die Regeln des Schabbat bei Gefahr für den Einzelnen oder die Allgemeinheit außer Kraft gesetzt werden.“ Das gilt sowohl bei Sturmschäden, Verletzungen als auch für Kriegssituationen.
Der Gedanke, die Technik einmal einen Tag auszuschalten, bewegt die Schüler. „Vielleicht nicht jeden Sonntag ohne Technik, aber ausprobieren ist drin“, meint ein Schüler. Eine Schülerin findet, dass es ohne Videos und Fernsehen machbar ist, aber „die Erreichbarkeit gebe ich nicht auf“. Die Entscheidung, sich für einen Tag von der Technik zu trennen, kostet auf jeden Fall Überwindung, doch Arie Rosen sagt: „Man muss es gemacht haben, um das Gefühl beschreiben zu können.“
„In der Hektik dieser modernen Welt Ruhetage zu haben, ist wichtig und schön.“
Arie Rosen
(Artikel von Christian Burger / Glaube und Leben 28/2016)