2007 bis 2017 – Zehn Jahre London Football Weekend

Eigentlich war die Idee aus der Not geboren. Eines Abends, auf einer Kursfahrt nach London im September 2005, bat ich meinen Kollegen Jürgen Menrath darum, mich vom Programmpunkt des abendlichen Musicalbesuches freizustellen. Ich kann mit Musicals nicht umgehen. Not my cup of tea. Die zwei kostbaren freien Stunden, so beschloss ich, wollte ich den Queens Park Rangers widmen, einem ewig dümpelnden Zweitligisten, von dessen Stadion im Herzen der Stadt man sich aber Magisches erzählte. Nirgendwo säße man näher am Feld, kein Stadion in London könne, trotz weniger Sitzplätze, solch einen „Roar“ entwickeln wie die Loftus Road. Das Spiel gegen Luton Town, so viel sei gesagt, war kein Leckerbissen, aber die Stimmung hinterließ einen bleibenden Eindruck. All das Gelächter, die Gesänge und Flüche – hier waren keine Touristen. Das war das London abseits gängiger Pfade! So etwas müsste man doch mal Schülern zeigen.

Der Plan, der aus diesem Abend erwuchs, trägt das jährliche London Football Weekend bis heute: viele Jungs mögen Fußball. Warum sollte man diese Leidenschaft nicht nutzen, um sie authentische Spracherfahrungen sammeln zu lassen, auch wenn der dreckige Londoner Cockney-Akzent nicht unbedingt im Schulbuch steht? Vielleicht aber auch gerade deshalb.Zwei Jahre später, im Herbst 2007 machte sich, nachdem die Schulleitung überzeugt worden war, eine erste Reisegruppe in Begleitung von Frau Willenbacher und mir auf den Weg ins Abenteuer Groundhopping. Natürlich waren die Queens Park Rangers mit von der Partie. Die Stimmung bei der Partie gegen Sheffield Wednesday gehört bis heute zu den Top 3 aller Spiele. Sportliches Highlight war allerdings ein Premier League-Spiel des FC Fulham im schönsten Stadion der Welt, dem Craven Cottage, direkt an der Themse. Im Anschluss nahm sich sogar der deutsche Profi Moritz Volz, damals in Diensten der Cottagers und heute TV Experte beim Onlinedienst DAZN, eine Stunde Zeit für unsere Fragen. Das Wochenende übertraf alle Erwartungen, wir waren infiziert.

In den folgenden Jahren sahen wir viele tolle Spiele in allen denkbaren Wetterlagen, feierten Tore, lachten über originelle Fangesänge und erfreuten uns daran, zu erleben, wie wichtig den Engländern das „Beautiful Game“ ist. Die Leidenschaft, die auch 20.000 Menschen zu manchen Spielen der 4. Liga treibt, ist mit der deutschen Fußballbegeisterung nicht zu vergleichen. Wir sahen die legendäre „Class of 92“ von Manchester United mit Giggs, Scholes, Butt und den Neville Brüdern, wie sie West Ham United im inzwischen leider geschlossenen Upton Park mit 4:0 demütigten. Am Ende wurde der Gast mit Ovationen der West Ham Fans verabschiedet. Fair Play!
Unvergessen bleibt auch ein Abend im Vereinsheim des Viertligisten Barnet FC, damals mit Spielertrainer Edgar Davids, an dem wirklich jeder Willigis-Schüler in Gespräche mit einheimischen Fans verwickelt wurde. Jeder wollte von uns wissen, warum zum Teufel es uns ausgerechnet dorthin verschlagen hatte.
Viele dieser Orte gibt es heute nicht mehr. Underhill, das Stadion in Barnet, wurde am Ende jener Saison geschlossen. West Ham United folgte dem Ruf des Geldes und gab seine alte Heimat für einen Umzug ins Olympiastadion auf. Die White Hart Lane, an der einst Klinsmann seine Tore schoss, wurde ebenfalls abgerissen. Für das charmante Stadion in Brentford sowie für die eingangs erwähnte Loftus Road liegen Neubaupläne an anderen Orten vor. So geht vieles von dem verloren, was den Charme alter, unbequemer englischer Stadien ausmachte.
Die Erinnerungen aber bleiben, und viele der inzwischen weit über hundert Schüler, die am London Football Weekend teilgenommen haben, sind inzwischen selbst regelmäßige Fußballtouristen geworden – viele im Übrigen gemeinsam mit ihren Vätern. Ein Land erlebt man nämlich dann besonders gut, wenn man die ausgetretenen Touristenpfade verlässt und sich unter die Einheimischen mischt.

Die Zukunft des inzwischen schon lange von Christian Schwenk mitbegleiteten Wochenendes bleibt spannend bis angespannt. Nicht nur die Transfersummen der Spieler steigen in unvorstellbare Höhen, auch die Eintrittspreise werden zunehmend unanständiger. Viele Vereine lassen keine Gruppenbuchungen mehr zu, da der Fan eine „Mitgliedschaft“ käuflich erwerben soll, die ihn erst dazu berechtigt, am Vorverkauf teilzunehmen. Der Fußballfan wird zunehmend als Konsument wahrgenommen, der künftig bitte lieber aus China oder zumindest aus der oberen britischen Mittelklasse stammen soll. Reiseveranstalter bieten Fußballreisen unserer Art inzwischen für ein Vielfaches unseres Preises an. Die Glitzerwelt der Premier League wird als globales Produkt vermarktet und verliert zunehmend ihren typisch englischen Charakter. So merken immer mehr Schüler im Nachklang unserer Fahrten an, dass ihnen die unterklassigen Spiele, die wir auch sehr gerne besuchen, weitaus besser gefallen haben.
Ähnlich wie die Eintrittspreise haben sich überdies die Preise für die Unterkünfte entwickelt. Trotz aller Hindernisse überwiegen aus unserer Sicht immer noch die Vorteile, die wir in der Fahrt sehen. Die 8-Millionen-Metropole ist einfach zu spannend, um sich von ihr abzuwenden. Ein Auswärtsspiel in Manchester, Glasgow oder Sheffield ist aber in Zukunft nicht mehr ganz auszuschließen.

Roderik Becker

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